Die Blutgerichtsbarkeit war nun durch den Kauf der Herrschaft Wasserburg auf Jakob Fugger übergegangen. Offenbar rechnete dieser in seinem neuen Herrschaftsbereich mit einer hohen Kriminalitätsrate – diesbezügliche Berichte aus der davor liegenden Montforter Zeit sind allerdings nicht bekannt. In das Erdgeschoss des Gerichtshauses wurden jedenfalls fünf Gefängniszellen integriert, die um einen größeren Raum ergänzt wurden, der vermutlich für das Wachpersonal gedacht war. Ein bis heute vorhandener massiver Stahlhaken im Zentrum der gewölbten Decke lässt die Vermutung aufkommen, dass hier die hochnotpeinlichen Befragungen und Verhöre stattfanden und dass in diesem Raum gefoltert wurde.
In den Bau des neuen Gerichtshauses wurden die inzwischen strategisch nicht mehr wichtigen Festungsmauern einbezogen. Sie bildeten ein starkes Fundament für das auf fast quadratischem Grundriss errichtete, zweieinhalbstöckige Gebäude und sind bis heute noch gut zu erkennen.In den ersten Stock wurde der Gerichtssaal eingebaut, mit großen hellen Fenstern zur Seeseite und einer flach gewölbten, sogenannten »Lindauer – Decke«. Ein besonderes Schmuckstück in diesem Raum ist bis heute eine Fenstersäule mit Akanthny-Kapitell und Wappenschild, gefertigt aus Rorschacher Sandstein. Leider ist im Laufe der Jahrhunderte das Wappenbild verloren gegangen. Einer mündlichen Überlieferung zufolge sollen es drei Fische geziert haben – es spricht aber viel mehr für ein Fugger-Allianz-Wappen.
In diesem Gerichtssaal wurden die sog. »Wasserburger Hexenprozesse« abgehalten, denen das Fuggersche Malhaus seine schaurige Berühmtheit verdankt. In einem relativ kurzen Zeitraum, von 1656 bis 1664, wurden hier mehr als 25 Personen gefangen gehalten, gefoltert und verurteilt. Die meisten von ihnen wurden auf dem Scheiterhaufen in Hege verbrannt. Während der als sehr leutselig und milde bekannte Graf Leopold Fugger als habsburgischer Oberststallmeister meistens in Innsbruck weilte, hatte damals in Wasserburg Bartholomäus Heuchlinger, der Fuggersche Oberamtmann, das Sagen. In enger Zusammenarbeit mit dem Lindauer Rechtsgelehrten Dr. Johann Jakob Dilger wurden jene Prozesse vorbereitet und nach der »peinlichen Halsgerichtsordnung« des Kaisers Karl V. durchgeführt. In den Voruntersuchungen wurde gegen alle Verdächtigen, sog. »Öffentlich bescheyte Personen« ermittelt.
Der Wasserburger Pfarrer, ein Kapuziner und zwei Jesuiten waren als Seelsorger bestellt, hatten aber nicht den geringsten Einfluss auf den Gang der Prozesse. Die schreckliche Intensität und Verbissenheit, mit der die Wasserburger Prozesse durchgeführt wurden, sind heutzutage schwer nachvollziehbar. Natürlich suchte man immer Schuldige für Unwetter und Naturkatastrophen, für Hungersnot, Aussatz, Typhus, Cholera, Blattern, Ruhr und Pest. Die Menschen des ausklingenden Mittelalters waren ohnehin sehr empfänglich für Dämonenkult und Massenpsychosen. War der Stein erst ins Rollen gebracht, vermochte eine epidemiehafte Hysterie Denunzierung und Hexenverfolgung nicht mehr aufzuhalten. Die Anklagepunkte reichten vom Wettermachen über Vieh verhexen, Schänden konsekrierter Hostien, Hexenritt auf Besen und Schaufeln bis zur Unzucht, wobei den Männern zumeist Sodomie, den Frauen Beischlaf mit dem Teufel vorgeworfen wurde.
Nach dem dreißigjährigen Krieg war die »Schädigung an Gesundheit und Leben mit Hilfe des Satans« ein häufiger Anklagegrund. Während noch Heuchlingers Vorgänger, Oberamtmann Gastl 1649 sechs Untertanen wegen Beleidigung einsperren ließ, als diese einen Wasserburger Bauern des »Bockreitens« bezichtigt hatten, ließ wenige Jahre später Oberamtmann Heuchlinger eben diesen angeblichen »Bockreiter« im Anschluss an einen Malefizprozess verbrennen.
Somit waren die ausgearteten Wasserburger Prozesse zum großen Teil ein Machwerk Heuchlingers. Dem Denunziantentum waren Tür und Tor geöffnet. Schlug schließlich das Gutachten des rechtskundigen Sachverständigen (Dilger) den peinlichen Prozess (Folterung) vor, dann wurde dieser alsbald eröffnet. Eine erste Befragung, ob die zur Last gelegten Verbrechen wirklich begangen worden sind, wurde in der Regel verneint. Mit Fortgang der Folter änderten die Delinquenten aber meist schnell ihre Aussagen und legten letztendlich immer ein Geständnis ab. Dieses Bekenntnis, »Urgicht« genannt, musste am Schluss des Verfahrens und unmittelbar vor der Hinrichtung verlesen werden.
Eine nicht zu übersehende Tatsache ist die Abtretung von allem Hab und Gut des Verurteilten an seinen Leibherrn. Die Urgicht wurde nach dem Ende des Verfahrens einem Juristen vorgelegt, dieser schlug Strafe und Nebenstrafen vor. Der Malefizrichter, in Wasserburg der Oberamtmann, berief zwölf Geschworene und bestellte einen Verteidiger, zumeist in der Person des Gerichtsschreibers. Die Verhandlung im Malhaus fand immer in Abwesenheit des Angeklagten statt! Schon vor dieser letzten Sitzung wurden zwei Geistliche bestellt um den armen Angeklagten auf seine Todesstunde vorzubereiten. Das Urteil fiel immer im Sinne der Anklage aus. Allerdings musste es abschließend vom adligen Herrn bestätigt werden. Nach der Urteilsverlesung wurde der Stab über dem Haupte des Malefikanten in drei Teile gebrochen, nun hatte der Scharfrichter seines Amtes zu walten.
Der Sankt-Gallener Scharfrichter Neher, der in Wasserburg dienstverpflichtet war, hatte eine besondere Vorrichtung ersonnen, um einen Geständniswiderruf auf dem Weg zum Richtplatz zu verhindern: »Die eiserne Piren«, später auch ‚Wasserburger Birne‘ genannt. Es handelt sich dabei um eine durch eine Schraube verstellbare, stählerne Mundsperre in Birnenform. Die Nebenstrafen, wie Handabhacken oder Abstoßen der Beine mit dem Rad, wurden häufig in letzter Sekunde vom Landesherrn erlassen. Ein schneller Tod durch das Schwert war zumeist die heißersehnte Erlösung aus allen Qualen.
Ein unbeschreiblich tragisches Schicksal erlitt der 60jährige Bauer Haus Sommer aus Mitten, der zu Beginn des Jahres 1656 in Haft genommen wurde. Über einen Zeitraum von fast zwei Jahren wurde Sommer unzählige Male bestialisch gefoltert und gequält, allerdings konnte damit sein Geständnis nicht erzwungen werden. Vermutlich wollte der leidgeprüfte Wasserburger durch seine Standhaftigkeit seine Unschuld beweisen und damit seine Angehörigen vor einem ähnlichen Schicksal bewahren – was ihm allerdings keineswegs gelang. Zwar wurde Sommer letztendlich entlastet, aber weiterhin unter Hausarrest gehalten. Zudem musste er die Prozesskosten tragen. Seine ganze Familie fiel später der Wasserburger Hexenverfolgung zum Opfer. Als Heuchlinger und Dilger erneut Material gesammelt und 105 Fragepunkte aufgestellt hatten, um einen neuen Prozess gegen den »Hexenmeister Sommer« zu eröffnen, kam ein »gnädiger Gevatter Tod« dem menschenverachtenden Malefizgericht zuvor. Die Akten verzeichnen noch im .Jahre 1731 einen letzten Prozess im Wasserburger Malhaus.
Friolin Altweck, Ortsheimatpfleger